Bestellter Artikel nicht lieferbar - Und nun?

Viele Online-Händler*innen kennen das Problem: Kund*innen bestellen eine Ware in Ihrem Online-Shop, die sich später als nicht lieferbar herausstellt. Dürfen Sie dann die Bestellung Ihrer Kundschaft einfach stornieren oder müssen Sie eventuell sogar Schadensersatz zahlen? In unserem Rechtstipp der Woche erklären wir Ihnen, welche Pflichten Sie in diesem Fall erfüllen müssen.

Lieferpflicht nur bei wirksamem Vertragsschluss

Schon die alten Römer wussten: pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten. Eine Verpflichtung zur Lieferung der bestellten Ware trifft Sie daher nur, sofern zwischen Ihnen und den jeweiligen Kund*innen ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist.

Ob ein Vertrag im Online-Handel wirksam geschlossen wurde, ist jedoch gar nicht so leicht zu beantworten und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass spätestens eine Zahlungsaufforderung durch Sie (oder Ihren Zahlungsdiensteanbieter) als Vertragsannahme gewertet werden kann. Sie finden alles Wichtige rund um das Thema Vertragsschluss in diesem Rechtstipp der Woche.

Wie können Sie sich vom Vertrag lösen?

Liegt ein wirksamer Vertragsschluss vor und können Sie das bestellte Produkt unter keinen Umständen liefern, ist diese Situation für beide Vertragsparteien sehr ärgerlich. Viele Händler*innen stellen sich daher die Frage, ob sie sich dann vom Vertrag lösen können. Es ist ein jedoch ein weitverbreiteter Mythos, dass Verträge ohne Weiteres storniert werden können.

Ihnen steht, anders als den Verbraucher*innen, auch kein Widerrufsrecht zu. Das Widerrufsrecht dient einzig dem Verbraucherschutz. Des Weiteren scheidet ein Rücktritt vom Kaufvertrag gemäß § 323 Abs. 1 BGB ebenfalls aus, da dieser nur bei einer Pflichtverletzung der Gegenseite (z.B. im Fall der Zahlungsverweigerung) möglich ist.

Einen „Rettungsanker“ für die betroffenen Online-Händler*innen bietet das Anfechtungsrecht. Eine Anfechtung ermöglicht Ihnen, Ihre auf Abschluss des Vertrages abgegebene Willenserklärung zu „vernichten“. Sie wird dann so behandelt, als hätten Sie diese Erklärung nie abgegeben.

Können Sie den Vertrag anfechten?

Damit Sie Ihre Willenserklärung anfechten können, muss zunächst ein Anfechtungsgrund bestehen. Von den gesetzlich geregelten Fällen kommt nur ein sog. Erklärungsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 2. Alt. BGB in Betracht. Dieser liegt vor, sofern Sie sich bei der Abgabe Ihrer Erklärung verschreiben oder sonst vertuen.

Beispiel: Erfolgt die Annahme der Bestellung manuell per E-Mail, so ist ein Erklärungsirrtum möglich, wenn Sie versehentlich seine „Annahme“-Vorlage statt der „Ablehnungs“-Vorlage benutzen.

Fehler einer computergefertigten Erklärung können angefochten werden, soweit auch diese auf einen Bedienungsfehler zurückzuführen sind, der bei Abgabe der Erklärung erfolgt ist. Dies ist so zu werten, als wenn Sie sich als erklärende Person vergreifen oder verschreiben. Dasselbe gilt bei fehlerhaftem Datentransfer, wenn die Erklärung zwar richtig eingegeben, aber durch eine unerkannt fehlerhafte Software der erklärenden Person unrichtig (verfälscht) an Empfänger*innen weitergeleitet wird.

Beispiel: Wenn Sie einen Artikel versehentlich als „lieferbar“ markieren, obwohl Sie eigentlich „nicht lieferbar“ anklicken wollten, ist dies ein Erklärungsirrtum. Hier kommt eine Anfechtung in Betracht.

Stellen Sie den Artikel aber bewusst als „lieferbar“ ein, da Sie davon ausgehen, dass Sie diesen noch auf Lager haben (obwohl dies nicht der Fall ist), handelt es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum.

Wenn Sie einen Vertrag anfechten möchten, müssen Sie die Kund*innen unverzüglich informieren. Dies führt zur Nichtigkeit des Vertrags und Ihre Lieferpflicht entfällt. Beachten Sie dabei, dass die Erklärung der Anfechtung fristgebunden ist. Dabei unterscheiden sich die jeweiligen Fristlaufzeiten in Abhängigkeit des im konkreten Fall maßgeblichen Anfechtungsgrundes. Die Anfechtung muss unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern erfolgen.New call-to-action

Dürfen Kund*innen auf die Lieferung bestehen?

Sie können einen einmal geschlossenen Kaufvertrag nicht einfach so stornieren und bleiben grundsätzlich zur Lieferung der Ware verpflichtet. In einigen Ausnahmefällen erlischt Ihre Leistungspflicht jedoch trotzdem. Dies ist z.B. dann der Fall, sofern Ihnen diese Pflicht nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ist. Haben Sie der Person etwa eine bestimmte gebrauchte Ware oder ein Unikat verkauft und wird diese Ware oder das Unikat zerstört oder an eine andere Person übereignet, welche zur Herausgabe nicht bereit ist, ist Ihnen die Erfüllung des Kaufvertrages unmöglich. Dies liegt daran, dass Sie über die bereits übereignete Ware oder das übereignete Unikat nicht mehr verfügen können. Unmöglichkeit der Lieferung kann daher bei dem Verkauf von Gebrauchtwaren, Kunstgegenständen oder sonstigen Unikaten (sog. Stückschuld) vorliegen.

Bei dem Verkauf von Serienartikeln und Massenartikeln, die auch Ihre Konkurrenz verkauft (sog. Gattungsschuld), dürfte Unmöglichkeit regelmäßig ausscheiden. Bestehen Käufer*innen auf die Lieferung, müssten Sie das gewünschte Produkt gegebenenfalls bei der Konkurrenz besorgen und es liefern. Unmöglich ist die Leistungserbringung in dieser Konstellation nur dann, sofern die gesamte Gattung untergegangen wäre und Sie das betroffene Produkt daher auch selbst nicht mehr erwerben können.

Wann müssen Sie Schadensersatz zahlen?

Sofern Sie Ihre Kund*innen darüber informieren, dass die bestellte Ware nicht mehr lieferbar ist, verlangen diese häufig Schadensersatz. Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht jedoch nur, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Diese unterscheiden sich jeweils nach dem Grund des Lieferengpasses.

Ist Ihnen die Lieferung der Ware unmöglich und lag die Unmöglichkeit schon vor dem Vertragsschluss vor, richtet sich der Schadensersatzanspruch der Käufer*innen nach § 311a Abs. 2 BGB. Es kommt dann darauf an, ob Sie die Unmöglichkeit kannten oder kennen mussten.

Ist das Leistungshindernis hingegen nach Vertragsschluss eingetreten, ist entscheidend, ob Sie die Nichtleistung zu vertreten haben (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Dies gilt auch für die nach Vertragsschluss eingetretene Unmöglichkeit. Dass Sie die Nichtlieferung zu vertreten haben, wird durch das Gesetz widerlegbar vermutet, sodass Sie das Gegenteil nachweisen müssen.

Beispiel: Stellen Sie erst nach Vertragsschluss fest, dass das letzte Mountainbike aus Ihrem Vorrat bereits veräußert wurde, so kommt es darauf an, ob Sie bei Anwendung der üblichen Sorgfalt dies bereits vor Vertragsschluss erkennen konnten. Dies wäre in aller Regel zu bejahen. Passiert dies jedoch nach Vertragsschluss, kommt es auf die Veräußerung selbst an, welche Händler*innen ohne weiteres zu vertreten haben. Nicht pauschal lässt sich hingegen der in der Praxis häufige Fall der Nichtbelieferung durch den Großhandel beurteilen. Diese bedarf aufgrund der komplexen Kriterien der Rechtsprechung stets einer Einzelfallprüfung.

Ein Schadensersatzanspruch besteht des Weiteren nur, wenn der Kundschaft überhaupt ein Schaden entstanden ist. Dies muss die Person Ihnen gegenüber jedoch nicht nur behaupten, sondern auch nachweisen. Zudem ist auch bei der Frage, welche Schäden überhaupt ersatzfähig sind, zu differenzieren:

Welche Schäden sind ersatzfähig?

Haben Sie die Nichtlieferung der Ware zu vertreten und ist der kaufenden Person ein Schaden entstanden, müssen Sie diesen Schaden ersetzen. Käufer*innen sind dabei so zu stellen, wie sie gestanden hätten, sofern Sie die Ware geliefert hätten.

Ein Schadensersatzanspruch Ihrer Kundschaft besteht aber auch dann, sofern Sie den Kaufvertrag aufgrund eines Erklärungsirrtums wirksam angefochten hätten. Auf ein Verschulden kommt es in diesem Fall nicht an. Sie hätten dem Kunden in diesem Fall denjenigen Schaden zu ersetzen, den Ihr Kunde dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut (sog. Vertrauensschaden).

Beispiel: Bei Ihnen wird eine Markentasche im Wert von 400 Euro zum Preis von 250 Euro von Person X bestellt. Der Kaufvertrag zwischen Ihnen und X ist wirksam zustande gekommen. Hätte X das Angebot von Ihnen nicht gesehen, so hätte X die gleiche Tasche bei der Konkurrenz noch für 300 Euro gekauft.

Im Fall der Anfechtung beträgt der ersatzfähige Schaden 100 Euro. X ist so zu stellen, als ob der Vertrag nicht zustande gekommen ist, andernfalls, also ohne Anfechtung – 150 Euro, denn hätten Sie ordnungsgemäß die Tasche für 250 Euro geliefert, hätte X 150 Euro „Gewinn“ gemacht (Wert der Tasche in Höhe von 400 Euro abzüglich des Kaufpreises in Höhe von 250 Euro ergibt 150 Euro „Gewinn“).

Unser Tipp

Können Sie trotz Vertragsschluss die bestellte Ware nicht liefern, schulden Sie im Regelfall zumindest Schadensersatz. Vor solchen Konstellationen können Sie sich in erster Linie durch den Einsatz eines funktionierenden Warenwirtschaftssystems schützen, das gerade die Bestellung von ausverkauften Waren verhindert.

Vertragsrechtliche Absicherungen in den AGB sind hier nur sehr bedingt möglich: Insbesondere können Sie sich nicht pauschal vorbehalten, vom Vertrag zurückzutreten, wenn die Ware anders als im Shop angegeben, doch nicht verfügbar ist (BGH, Urteil vom 21.09.2005, VIII ZR 284/04). Neben der Auseinandersetzung mit den Käufer*innen besteht aber auch das Risiko einer Abmahnung. So hat das OLG Hamm die Werbung mit nicht verfügbaren Waren für wettbewerbswidrig erklärt (Urteil vom 11.08.2015, 4 U 69/15).

Sollten Sie Ware nur mit Verzögerung und nach der genannten Lieferzeit liefern können, finden Sie hier eine Überblick über die Rechtslage: Lieferzeit nicht eingehalten - welche Rechtsfolgen drohen bei Verzug?

Wenn Sie bereits eine Abmahnung erhalten haben, informieren Sie sich gern in unserem Blogbeitrag: Abmahnung erhalten? Was jetzt zu tun ist und wie Sie sich schützen können!

Diesen Tipp der Woche haben wir ursprünglich im Februar 2016 mit Tanya Stariradeff als Autorin veröffentlicht und 2019 sowie jetzt für Sie noch einmal auf aktuellen Stand gebracht.

29.02.24

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